Über das Forum

Das Forum ist eine gemeinsame Plattform für Forschungen in den Geistes- und Sozialwissenschaften zwischen den Universitäten Halle-Wittenberg, Jena und Leipzig. Es führt seit Dezember 2016 Forschende zahlreicher Fächer zusammen, die globale Verflechtungen von gegenwärtigen Gesellschaften und ihre historischen Wurzeln untersuchen. Neben den drei Universitäten beteiligen sich daran das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung, das Leibniz-Institut für Länderkunde, das Max-Planck-Institut für Ethnologie, das Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie, das Leibniz-Institut für jüdische Geschichte und Kultur – Simon Dubnow und das Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa.

Die Initiative ist von der Überlegung bestimmt, dass die mitteldeutschen Hochschulen gemeinsam mit den Instituten der Helmholtz- und Max-Planck-Gesellschaft sowie der Leibniz-Gemeinschaft mit ihrer Fächervielfalt und ihren Erfahrungen in der Verbundforschung über eine hervorragende Expertise zur Analyse globaler Prozesse verfügen. Vorhandene Verbund- und Einzelvorhaben sollen miteinander verknüpft und durch passende Formen der Qualifizierung für Doktorandinnen und Doktoranden und der forschungsorientierten Lehre flankiert werden.

Inhaltlich geht es um das Paradox, dass immer mehr Menschen in globale Verflechtungen einbezogen und von ihnen betroffen sind, sich aber aus unterschiedlichen Motiven Skepsis gegenüber einer globalisierten Zukunft breitmacht. Das Forum untersucht nicht „die Globalisierung“, sondern erforscht, wie verschiedene Akteure mit grenzüberschreitender Migration, Warenaustausch, Finanzflüssen und dem Transfer von Ideen umgehen und damit „das Globale“ überhaupt erst erschaffen und für sich jeweils bestimmen.

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Forschungsidee

Seit den 1990er Jahren war „Globalisierung“ die dominierende Idee und auch Ideologie. Die Meistererzählungen vom Sieg des Westens im Kalten Krieg, vom Vordringen der Marktwirtschaft und den Produktivitätsschüben durch Entgrenzung, Digitalisierung und Finanzialisierung verbanden sich mit dem Versprechen eines globalen trickling down-Effekts hin zu größerem Wohlstand für immer mehr Menschen weltweit. Kritik wurde mit dem Argument begegnet, es gäbe keine Alternative, denn „die Globalisierung“ sei zu mächtig, omnipräsent und irreversibel.

Heute trifft diese Globalisierungsideologie auf eine wachsende Skepsis. Einer Phase des übertriebenen Optimismus in Bezug auf das Zusammenwachsen der Welt und die Vorhersagbarkeit der globalen Zukunft scheint sich eine Phase des Zweifels und der Suche nach einem Rückgewinn von partikularer Souveränität anzuschließen. Dieses bedeutet aber keineswegs, dass globale Verflechtungen zurückgegangen wären. Die Erklärung des hohen Niveaus von Interdependenzen und der Ideologie, die diesen Verflechtungen Bedeutung zumisst und sie rechtfertigt, ist umso dringender.

Neue Globale Dynamiken

Das Forum for the Study of the Global Condition konzentriert sich vor diesem Hintergrund auf die interdisziplinäre Untersuchung neuer globaler Dynamiken.

Für viele Beobachter verändert sich die Global Condition gegenwärtig dramatisch. Neue Globale Dynamiken scheinen wirksam zu werden und diese Wahrnehmung verdichtet sich zur Idee einer Vielfach-Krise (oder Pluri-Krise in den Worten von Adam Tooze). Diese Vielfach-Krise, die als tiefe Zäsur wahrgenommen wird, beinhaltet eine ganze Serie von Krisen, darunter

  • die Krise der Expansion eines global arbeitsteiligen Produzierens unter Koordination einer weltweit agierenden Finanzindustrie mit all ihren Ungleichheiten,

  • die Krise der internationalen politischen und rechtlichen Ordnung,

  • die Krise der Mensch-Natur-Beziehungen aufgrund nahender oder bereits erreichter tipping points im Klimawandel und der Biodiversitätsreduktion,

  • die Krise des gesellschaftlichen Zusammenhalts und

  • die Krise der Koexistenz epistemischer Gemeinschaften.

Das Globalisierungsparadigmas scheint in seiner Erklärungskraft erschöpft, aber dies bedeutet keineswegs das Ende transnationaler und transregionaler Verflechtungen, ganz im Gegenteil. Allerdings müssen diese Verflechtungen viel stärker als in der Vergangenheit dezentriert und nichtlinear verstanden werden.

Das Forum stellt die gegenwärtig beobachtbaren neuen globalen Dynamiken in den Mittelpunkt. Diese sind insofern neu, als sie sich mit einem Zäsurbewusstsein und einem Diskurs der Newness verbinden, aber sie sind weder die ersten (noch vermutlich die letzten) Wandlungen der global condition. Deshalb gilt es den gegenwärtigen Wandel zu historisieren und nach Vorläuferkonstellationen zu fragen. Sie sind global, denn diese Zäsur werden in verschiedenen Teilen der Welt völlig unterschiedlich erfahren, wahrgenommen und beantwortet.

Diese Multiperspektivität gilt es zu erforschen und in der Forschungspraxis zu reflektieren. Der Begriff der Dynamiken ist angemessen, weil sie nicht als ein einziger, linear gerichteter Prozess von einem Zentrum zu dessen Peripherien gedacht werden können, sondern als ein Bündel von verschiedenen Globalisierungsprojekten, die konkurrieren und kooperieren und jeweils die für sie relevante Welt globalisieren. Globalisierungsprojekte erzeugen im Wechselspiel mit strukturellem Wandel, den sie auslösen und auf den sie reagieren, jene Dynamiken, die in ihrer Wirkung auf vier Ordnungen und deren Wandel im Forum analysiert werden:

  • Raumordnungen im Wechselspiel von Integration und Fragmentierung,

  • Soziale Ordnungen im Wechselspiel von Zugehörigkeit und Fremdheit,

  • Epistemische Ordnungen im Wechselspiel von Koexistenz und Konkurrenz,

  • Mensch-Natur-Ordnungen im Wechselspiel von Nutzung als Ressource und Erhalt als Umwelt menschlichen Handelns.

Hierzu integriert das Forum die Wissensbestände aus sehr unterschiedlichen Disziplinen und entwickelt eine eigene Wissensordnung, die zur Grundlage für eigene Aktivitäten in Forschung, Lehre und Ausbildung sowie Wissenstransfer und Wissenschaftskommunikation wird.

Das Forum untersucht diese Dynamiken anhand einer breiten Auswahl von Globalisierungsprojekten über verschiedene historische Epochen und viele Weltregionen hinweg.